Sie ist eines der Wahrzeichen Hamburgs: Die Köhlbrandbrücke im Hamburger Hafen, die den südlichen Mündungsarm der Elbe überspannt. Dort, wo heute am Container-Terminal Burchard-Kai Kisten aus aller Welt umgeschlagen werden, spielten im Sommer 1922 täglich rund 100 Stadtkinder am Strand: in der damaligen Ferienkolonie der Arbeiterwohlfahrt. Das kleine Dorf bildete die Geburtsstunde der AWO-Kinderbetreuung in Hamburg. Rund 100 Jahre nach seiner Gründung betreibt der Wohlfahrtsverband über 20 AWO-Kitas, Treffpunkte für Kinder und Jugendliche und Eltern-Kind-Zentren in der Hansestadt. Auch Ferienfahrten gehören zum Angebot, damit jedes Kind in den Urlaub fahren kann – unabhängig vom Geldbeutel.

 

AWO-Ferienkolonie am Köhlbrand

Die meisten der jungen Köhlbrand-Besucher waren noch nie zuvor in den Urlaub gefahren – insbesondere nicht die vielen Kinder aus den Arbeiter- und Gängevierteln Hamburgs. Fernab vom beengten Großstadtleben genossen sie ab 1922 in der Tageskolonie Köhlbrand der AWO Hamburg eine unbeschwerte Zeit. Eine ausreichende Verpflegung und Freizeitangebote an der frischen Luft stabilisierten den Gesundheitszustand der Stadtkinder. Schon bald war der Andrang riesig, die Anzahl der Tageskoloniegäste stieg rasant. 1922 besuchten nur 1.000 Kinder täglich die kleine Kolonie – sieben Jahre später waren es schon bis zu 2.750 Schulkinder und 250 Kleinkinder. Bis 1928 kamen somit insgesamt schon 100.000 kleine Gäste in den Genuss von Luft und Licht – eine Rarität in den engen Höfen und Gassen der Hamburger Arbeiterviertel. Außerhalb der Ferien nutzen Schulklassen den Köhlbrand – 1930 waren es 168 Klassen, die in der „Freiluftschule“ lernten und spielten.

Es war eine ungewohnt weite Fahrt für die Kinder, schon fast eine Reise, die sonst ihr Wohnviertel nicht verließen. Jeder Stadtteil hatte eine Sammelstelle, meist an einer U-Bahnstation, wo sich die Kinder pünktlich um 7:30 Uhr einfinden mussten. Gemeinsam mit zwei Gruppenhelfer*innen der AWO fuhren sie zu den Landungsbrücken und weiter mit einem Hafendampfschiff auf die andere Elbseite zum Anleger Maakendamm am Köhlbrand. Endlich angekommen, konnten sie sich mit Milchbrötchen und Kakao stärken.

Die AWO-Ferienkolonie nach dem Zweiten Weltkrieg

1933 wurde die AWO im Zuge der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten aufgelöst und verboten. Deshalb musste auch die Kindertageskolonie schließen. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte der reguläre Ferienbetrieb wieder aufgenommen werden. Schuten (Transportkähne ohne Motor) brachten Sand, um den Strand aufzuschütten, der bei Bombenangriffen Schaden genommen hatte. Zahlreiche Schiffswracks aus dem Krieg lagen noch am Elbufer und waren für die Kinder wie ein Abenteuerspielplatz. In den Überresten aus Holz und Eisen spielten die kleinen Nachkriegsgäste, bis diese beseitigt wurden.

Die schwere Sturmflut in der Nacht vom 16. Auf den 17. Februar 1962 in Norddeutschland besiegelte das Ende der Ferienkolonie. Die Einrichtung wurde schwer beschädigt, Teile waren einfach weggeschwemmt worden. Inzwischen gehört das Areal, das heute zwischen Köhlbrand, Norderelbe und der Autobahn A7 liegt, ausschließlich der Industrie und dem Hafenumschlag. Heute können sich Kinder und Jugendliche von ihrem Alltag auf zweiwöchigen Ferienfahrten mit dem Landesjugendwerk der AWO Hamburg erholen– anders als in den damaligen Tageskolonien geht es 2019 beispielsweise in die Eifel, nach Spanien oder Italien.

Von Erholungsfürsorge bis hin zu modernen Kitas

Nach dem Zweiten Weltkrieg bot die AWO Hamburg auch eine neue Form der Erholungsfürsorge – und zwar mitten in der Stadt im Jonni-Birckholtz-Heim in Farmsen-Berne. Hier wurden täglich 200 Schulkinder und 60 Kleinkinder betreut. 1967 baute die AWO Hamburg das Heim in eine ihrer ersten Kindertagesstätten um. Mittlerweile betreibt der Verband über 20 Kitas, darunter auch zwei Waldkitas. Darüber hinaus gibt es heute weitere AWO-Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, verteilt auf das gesamte Hamburger Stadtgebiet: Zum Beispiel den Jungentreff in Bergedorf, den Jugendclub in Heimfeld, Eltern-Kind-Zentren oder auch das Kinder- und Familienhilfezentrum in Farmsen-Berne.

Dass viele der AWO-Standorte in sozialen Brennpunkten liegen, verwundert nicht weiter. Denn seit seiner Gründung bis heute setzt sich der Verband für Menschen ein, die gesellschaftlich benachteiligt sind. Auch nach 100 Jahren setzt sich die AWO für soziale Gerechtigkeit, Toleranz und ein solidarisches Miteinander ein.

Text: Annika Hansen

Zeitzeugen-Berichte über die AWO Ferienkolonie Köhlbrand

Als wir auf dem Köhlbrand waren – Zeitzeugenbericht von Helmut Riedel und Helga Gühlcke

 

Zur Gründung der AWO Hamburg

Dezember 1919: eine Idee setzt sich durch

Am 13. Dezember 1919 gründete die SPD-Politikerin Marie Juchacz den „Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt“ in Berlin – dadurch organisierte sich die soziale Fürsorge der Arbeiterschaft erstmals in der deutschen Geschichte in einem Verein. Es ging vor allem um die Hilfe zur Selbsthilfe. Die Idee, solidarisch füreinander einzustehen und Hilfsbedürftige zu stärken, setzte sich wenig später auch in Hamburg durch: Hanseatische Sozialdemokraten legten mit der Gründung des „Hamburger Ausschusses für soziale Fürsorge e.V.“, einer Ortsgruppe des Berliner Hauptausschusses der Arbeiterwohlfahrt, den Grundstein für die heutige AWO Hamburg. 100 Jahre später engagiert sich der Verband nach wie vor für Menschen mit unterschiedlichen Hilfebedarfen: In Seniorentreffs, Kitas, Jugendtreffs, Pflege-Einrichtungen, Beratungsstellen oder Unterkünften für Geflüchtete.