Noch vor ein paar Jahren setzte Mutter immer pünktlich um 12 Uhr das Mittagessen auf den Tisch und Vater hegte und pflegte den Garten jeden Tag. Heute vergessen die Eltern häufig mal eine Mahlzeit und haben und die Beete hinter dem Haus verwildern lassen. Oft kommt irgendwann der Tag, an dem Kinder bei ihren Eltern Veränderungen wie diese bemerken. Sie fragen sich dann: „Wie sage ich Mama und Papa, dass sie Hilfe benötigen?“

In unserem Interview gibt Carolin Allers, stellvertretende Pflegedienstleitung, AWO Sozialstation Mümmelmannsberg, Tipps zum Umgang mit Eltern, die älter werden.

Woran merke ich, dass die eigenen Eltern Hilfe benötigen?

„Pauschal lässt sich das leider nicht sagen. Jeder Mensch und somit auch jedes Elternteil altert anders und hat auch unterschiedlichste Bedürfnisse. Grundvoraussetzung, um es zu erkennen, ist ein regelmäßiger Kontakt zu Ihren Eltern und dieser möglichst nicht nur am Telefon. Durch das visuelle Beobachten Ihrer Eltern und die Situation vor Ort erleben, können Sie ganz schnell merken, hier ist ein Hilfebedarf. Ganz banal, letzten Monat beim Kaffee trinken, hat meine Mutter beispielsweise noch die Kaffeemaschine problemlos bedient, heute muss sie sich dabei festhalten oder weiß vielleicht gar nicht mehr, wo der Kaffee im Schrank steht. An den kleinen Dingen des Alltags schleicht sich langsam aber sicher ein Hilfebedarf ein. Sprechen Sie mit ihren Eltern über den Alltag, dann werden sie berichten, was nicht mehr ganz so rund läuft.“

Wie spreche ich das ihnen gegenüber am besten an – und wie besser nicht?

„Die Kommunikation ist in jeder Beziehung das Wichtigste. Ich rate immer dazu, seinen Eltern oder auch anderen Hilfs- oder pflegebedürftigen Familienmitgliedern oder sogar Freunden, offen und ehrlich gegenüber zu sein. In einem freundlichen Gespräch das Aufgefallene ansprechen, formulieren, dass man sich als Kind Sorgen macht. Natürlich stößt es immer an, mit Kritik und Sorge mag keiner gerne umgehen. Ein offenes und ehrliches Gespräch wirkt aber immer nach. Es dauert meist ein paar Tage, aber dann können Sie mit Ihren Eltern über Lösungen sprechen.  Natürlich gibt es auch hartnäckige Menschen, denen muss man einfach mehr Zeit geben und die Problematik immer wieder ansprechen.

Eine frontale Konfrontation und ein Streitgespräch, am besten sogar schon mit vorgefertigten Lösungen, sind immer unkluge Kommunikationswege. Dadurch werden sich Ihre Eltern immer bevormundet und übergangen fühlen.“

Wie kann ich meine Eltern dazu bewegen, ambulante oder stationäre Hilfe bis hin zur Heimunterbringung in Anspruch zu nehmen, ohne dass diese sich verletzt, bevormundet oder entmündigt fühlen?

„Wie eben gesagt, ist eine offene und ehrliche Kommunikation der richtige Weg. Nur so können Sie mit Ihren Eltern gemeinsam einen Weg finden, welcher für alle und ganz besonders für Ihre Eltern ja neu sein wird.

Gerade erst gestern habe ich einen Herren besucht, der sich mit seiner Familie für die Unterstützung durch uns als AWO Pflegeteam entschieden hat. Der Herr hat es ganz einfach beschrieben, er fühlt sich selbst durch seine entstandene Pflegebedürftigkeit „überfahren“ und hilflos. Er muss selbst erstmal begreifen, dass er nun einiges nicht mehr alleine erledigen kann und auf fremde Menschen angewiesen ist. Dass er die Hilfe benötigt, ist ihm klar, das Annehmen jedoch, wie wird es gestaltet, wer kommt, welche Kosten kommen auf mich zu, kann ich das alles selbst entscheiden und viele Fragen mehr, schwirren noch in seinem Kopf. Aus dem Beispiel lässt sich etwas ableiten:

Bitte informieren Sie sich als Kind in der Situation bei der Kranken- und Pflegekasse Ihrer Eltern. Es gibt tolle Online-Portale und auch Telefon-Kontakte, um konkret Fragen zu stellen. Die Stadt Hamburg bietet beispielsweise mit den Pflegestützpunkten je Bezirk eine tolle Beratung und Unterstützung an. Ambulante Dienste, wie wir vom AWO Pflegeteam Hamburg beraten Sie gern. Eine Beratung zur Lösungsfindung ist sinnvoll, denn viele Möglichkeiten im ambulanten, teil- und stationären Bereich, sind oft nicht bekannt.

Wenn Ihre Eltern noch keinen Pflege- und Hilfsbedarf haben, denken Sie über die Idee nach, zusammen mit Ihren Eltern pro-aktiv in dieses Thema einzusteigen. Stellen Sie die Frage: Was wäre, wenn? Was wünscht ihr euch? Was möchtet ihr? Und stellen Sie sich selbst die Fragen: Was möchte ich für meine Eltern tun? Möchte ich sie unterstützen? Wenn ja, wie weit? Möchte ich sie pflegen? Oder auch gar nicht.

Wenn alle Beteiligten ihre Wünsche und Bedürfnisse vorab klarstellen, kann eine vorab gedachte Lösung der Weg sein, der viel früher und unproblematischer greift, gerade wenn die Wohnsituation nicht unbedingt tauglich ist für pflegebedürftige Menschen. Auch Pflegeheime, Tagespflegen und Servicewohnanlagen bieten Interessierten einen Einblick und beraten sie vor Ort gern.“

Wie erkläre ich einem Elternteil, dass es lieber nicht mehr Auto fahren sollte?

„Das Autofahren ist und bleibt für viele ältere Menschen, mit und ohne Hilfs- und Pflegebedarf, ein wichtiger Teil im Alltag. Denn die damit verbundene Unabhängigkeit ist groß. Wege, die durch ein Auto zurückgelegt werden können, würden ohne das Auto häufig zu einem großen Hindernis werden, vor allem im ländlichen Raum. Daher ist das auch ein sehr heikles Thema. Auch hier empfehle ich Ihnen, dieses Thema vorab zu besprechen. Sollte das nicht möglich sein und das Fahren eines Autos bereits eine Gefahr für andere und ihre Eltern selbst darstellen, kann der Hausarzt auch mit einbezogen werden. Oft ist eine externe fachliche Meinung zu dem Thema ein prägnanter Schachzug.“

Wie sage ich einem Elternteil, dass ich bei ihm beginnende Demenz zu erkennen glaube?

„Da wir alle keine Ärzte sind, stellen wir auch keine Diagnosen und schränken die Eltern und Mitmenschen damit ein. Bitte sprechen Sie ihre Bedenken aus – „Mensch Papa, Du vergisst aber auch viel heute!“ oder ähnlich. Passiert das mehrfach hintereinander, machen sie den Vorschlag, es einmal ärztlich abzuklären. Nur so können sie sich sicher sein, dass es wirklich eine Demenz ist. Die „Alterstütteligkeit“ ist nicht immer eine Demenz. Es kann auch einfach an zu wenig Flüssigkeit liegen oder daran, dass man auch einfach älter und damit etwas vergesslicher wird.“

Was tue ich, wenn Eltern die ihnen vorgeschlagenen Hilfen ablehnen?

„Auch das kommt vor und es muss akzeptiert werden. Jeder hat das Recht, Hilfe abzulehnen. Gehen Sie ins Gespräch und ergründen Sie das Warum. Probieren Sie es weiter, oft schlägt die Ablehnung um. Aus der ambulanten Erfahrung kann ich Ihnen sagen, es wird ganz viel in den ersten Tagen der Versorgung abgelehnt. Geben Sie sich und ihren Eltern Zeit. Nach zwei, drei Wochen sind alle Beteiligten in der Situation angekommen und vieles wird akzeptiert.“

Bis zu welchem Grad sollten sich Kinder selbst in die Hilfen einbringen, wo sollten sie Grenzen ziehen?

„Das muss jedes Kind für sich selbst entscheiden. Stellen Sie sich die Fragen: Was möchte ich? Was kann ich? Was kann ich zeitlich? Wie kann ich es in meinen Alltag einbauen? Möchte ich sogar meine Eltern bei mir daheim pflegen? Machen Sie sich klar, was sie möchten. Bieten Sie nicht aus falschen Ansprüchen heraus mehr an. Sie werden dann nicht glücklich sein und ihre Eltern auch nicht.

Ihre Beziehung zu ihren Eltern soll nicht durch falsche Ansprüche kaputt gehen.  Nutzen Sie ihre Zeit auf eine andere Weise mit ihren Eltern. Das sollte es Ihnen wert sein.“

Wie kann ich bei all dem die Würde meiner Eltern wahren?

„Die Würde Ihrer Eltern wahren Sie, wenn Sie sich um ihre Sorgen und Bedürfnisse kümmern und sie nicht mit Ihrer Hilflosigkeit allein lassen. Begleiten Sie sie und stehen ihnen zur Seite wann und wo es sein muss und in welchem Maß Ihre Eltern und Sie es wollen. So reichen Sie ihnen die Hand für ein schönes Leben im hohen Alter.  Beziehen Sie rechtzeitig Dienstleister wie die AWO mit ein, die Ihnen viele kleine Steine des Alltags leichter machen.“