Mit dem Bruch der Ampelkoalition am 6. November ist auch das geplante Rentenpaket II gescheitert. Doch der Reformbedarf für das deutsche Rentensystem bleibt unverändert groß. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die zukünftige Bundesregierung findet Anfang Februar, also mitten im Wahlkampf, unsere zweite „AWO im Gespräch“ zum Rentensystem statt. Neben der Debatte über den generellen Reformbedarf bei der gesetzlichen Rente ging es auch um die Rolle der versicherungsfremden Leistungen, die über die Rentenkasse bezahlt werden. Rund 60 Gäste verfolgten die angeregte Debatte auf dem Podium und beteiligten sich an der Diskussion. Diesmal im AWO Aktivtreff Stellingen.

Rentenniveau sichern und ausbauen

„Zumindest das Rentenniveau (derzeit 48% Anm. d. Red.) muss gesichert werden nach der Bundestagswahl, weil ansonsten die Altersarmut noch weiter zunimmt“, mahnt Jutta Blankau, Präsidiumsvorsitzende der AWO Hamburg, gleich zu Beginn der Veranstaltung. Sie stellt klar, dass sie schon das gescheiterte Rentenpaket II für nicht ausreichend gehalten hat und die AWO daher eine Erwerbstätigenversicherung fordere, in die alle ihre Beiträge einzahlen, also auch Beamte, Selbständige und Abgeordnete in Bund und Land. Der Anspruch der Wohlfahrtsverbände sei mehr Gerechtigkeit auch bei der Rente und das bedeute, dass mehr einzahlen müssten. Darüber müsse eine Debatte geführt werden. Wolfgang Schmidt, Chef des Kanzleramts und SPD Bundestagskandidat, stimmt zu. „Die Rentenniveausicherung, also die Haltelinie von 48 Prozent, läuft im Juni 2025 aus. Diese Haltelinie muss gesichert werden. Die Sozialverbände wollen mehr, die Gewerkschaften fordern 53 Prozent. Aber schon die 48%-Haltelinie ist wahnsinnig schwer hinzukriegen“, sagt Schmidt. Zwar sei auch die SPD für eine Erwerbstätigenversicherung, aber dafür sei derzeit keine Mehrheit absehbar.

Erwerbstätigenversicherung oder Freiwillige Bürgerversicherung

„Zu einer verpflichtenden Bürgerversicherung ist unsere Position „nein“, erwidert Roland Heintze, CDU-Landesvorstand und ebenfalls Bundestagskandidat. „Wir wollen die Wahlfreiheit erhalten. Nichtsdestotrotz sehen wir, dass wir eine freiwillige Bürgerversicherung attraktiver machen müssen“, so Heintze weiter. Diese sei nur ergänzend zu sehen und die Sicherheit des investierten Geldes müsse gewährleistet werden. Ragnar Hoenig, Professor für Sozialrecht an der TH Köln, sieht keinen Bedarf bei der gesetzlichen Rente auf die kapitalgedeckte Säule umzuschwenken. Das bisherige System der gesetzlichen Rente mit einer Umlagefinanzierung findet er gut, auch wenn die sogenannte Babyboomer-Generation, wenn sie in Rente geht, einen finanziellen Druck auslösen werde. „Ich glaube, wir brauchen eine politische Debatte darüber, wieviel Beitrag ist den Aktiven zuzumuten und wie hoch muss das Leistungsniveau sein, um das Vertrauen in die Rentenversicherung nicht zu enttäuschen. Man muss einen vernünftigen Ausgleich finden“, so Professor Hoenig.

Versicherungsfremde Leistungen verzerren Debatte

In der zweiten Runde auf dem Podium ging es dann um die sogenannten versicherungsfremden Leistungen, also Leistungen, die aus der Rentenkasse bezahlt werden, für die aber kein unmittelbarer Beitrag gezahlt worden ist. So zum Beispiel die Mütterrente oder die Rente mit 63. Diese versicherungsfremden Leistungen seien vor allem in der Diskussion ein Problem, so Jutta Blankau. Zum Beispiel wenn Wissenschaftler behaupten würden, dass schon jetzt der Bundeszuschuss zur Rentenkasse viel zu hoch sei. „Die versicherungsfremden Leistungen müssen transparent aufgelistet werden, auch mit der Höhe der Kosten. Und das muss aus Steuermitteln finanziert werden“, so Blankau. Ohne diese Transparenz könne man auch immer unterstellen, dass auch Rentenbeiträge zur Finanzierung der versicherungsfremden Leistungen genutzt würden. Roland Heintze von der CDU sieht das ganz ähnlich: „Wenn man sich bei den versicherungsfremden Leistungen einmal ansieht, was kam jährlich dazu, dann ist das eine ziemlich steile Kurve. Wir müssen das jetzt mal transparent machen (…) und dafür sorgen, dass solche Leistungen steuerfinanziert werden und nicht beitragsfinanziert“, sagt Heintze.

Rentenversicherung als Sozialversicherung

Wissenschaftler Ragnar Hoenig ist da skeptisch: „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob wir mit dieser Diskussion weiterkommen. Fakt ist: Der Bund hat eine finanzielle Verantwortung für das System der gesetzlichen Rentenversicherung“, so Hoenig.  Auch Wolfgang Schmidt sieht kein Problem: „Wenn ich eine gesetzliche Leistung habe, habe ich einen Anspruch. Und dann muss das Geld eben zur Verfügung gestellt werden“, sagt Schmidt. Er betont, dass die Rentenversicherung keine Privatversicherung, sondern eine Sozialversicherung sei und daher auch Aufgaben übernehme, die nicht beitragsgedeckt sind, aber im gesellschaftlichen Interesse lägen. Daher flössen auch enorme Summen aus dem Bundeshaushalt.

Gerechtigkeitslücke bei der Rente

Die Gerechtigkeitsfrage stand im Mittelpunkt der zahlreichen Beiträge und Fragen aus dem Publikum. Mit Blick auf die deutlich höheren Pensionen gebe es eine große Gerechtigkeitslücke im Vergleich zu Renten, über die werde aber nicht gesprochen. Daher sollten alle Erwerbstätigen einzahlen, auch Beamte. Auch bessere Rentensysteme in anderen europäischen Ländern und ein höheres Rentenniveau dort wurden thematisiert.

Am Ende dieser „AWO im Gespräch“ ist klar, dass das gesetzliche Rentensystem eine wichtige Zukunftsaufgabe bleibt. „Ich hätte mir gewünscht, dass mehr junge Leute dagewesen wären heute Abend“, so Jutta Blankau zum Abschluss. „Denn wir haben über etwas geredet, das die jungen Leute betrifft.“